Montag, 15. Dezember 2008

Kleiderwechsel im Hauseingang

B"H

Wenn ich eines jemals so richtig vermisst habe, dann sind das meine Hosen. Ganz gleich ob Jeans oder andere, immer beneidete ich andere weibliche Wesen, die nicht in einen Rock gezwungen wurden.

Wer als Frau religiös lebt, der zieht natürlich einen langen Rock an. Vor ca. zehn Jahren noch gab es weniger Grüppchen, die sich dem relig. Hippiestyle anschlossen. Heutzutage kann man sogar Rock und Hose miteinander verbinden, indem man beides trägt. Lange Hose unter dem langen Rock; egal, ob die Hosenbeine unten vorschauen oder nicht. Je flippiger, desto besser.

In haredischen (ultra - orthod.) Kreisen ist soetwas absolut unvorstellbar und kein weibliches Wesen täte sich dermassen öffentlich zur Schau stellen. Üblich ist es im allgemeinen bei den Anhängern des Hippie - Rabbi Shlomo Carlebach sowie bei vielen Nationalreligiösen.

Vielleicht wäre einiges bei mir anders verlaufen, wenn es diesen flippigen Stil vor mehreren Jahren schon gegeben hätte. Vielleicht aber auch nicht, denn ich bin alles andere als der Hippietyp und mag diesen Stil "Hose & Rock" überhaupt nicht. Er erinnert mich an Leute, die sich nicht entschliessen können, was sie wollen und auf zweierlei Schiene fahren. Genauso wie wenn eine verheiratete Frau eine Kopfbedeckung und eine Hose trägt. Irgendwie passt immer etwas nicht zusammen und wirkt wirr.

Als ich nur unter Rockträgerinnen war, fiel es mir weniger auf; sobald ich jedoch eine Frau in Hosen sah, neidete ich ihr diese. Das erste Mal auf einer Yeshiva (relig. Schule), in der eine neue Religiöse in den ersten Wochen täglich in Hose zum Unterricht erschien. Ob ich das auch tun könnte ? Vielleicht, aber ich war zu feige und litt stattdessen unter den Rock.

Mindestens zweimal im Monat fuhr ich zu Besuch in meinen alten Kibbutz, wo absolut alles erlaubt war. Nicht, dass ich mich wild ins nichtrelig. Leben stürzte, um meinen Frust des relig. Lebens abzuschütteln. Eher war das Gegenteil der Fall. Je mehr ich mich aus meinem relig. Leben entfernte, desto fremder wurde mir die nichtrelig. Umwelt samt Menschen.

Eines aber wurde mir nie fremd: eine Hose. Meines Erachtens nach kann man vollkommen relig. sein, auch wenn man sich in Hose kleidet. Für die relig. Umwelt sicher nicht, denn dort wird zuerst nach dem Äußeren geurteilt.

"Hose ?"

"Aha, also Du bist sekulär".

Bei solchen Vorurteilen bin ich gewöhnlich jedesmal an die Decke gegangen, finde es aber mittlerweile nur noch lustig. Sobald die Religiösen zwei Sätze mit mir reden, ändern sie ihre Meinung sofort.

Der Yeshiva und haredischen Umwelt konnte ich keine Hose antun. Jedenfalls nicht öffentlich. Bei manchen Anlässen zog ich sie dann allerdings doch an. Geheim.

Es dauerte nicht lange und ich kannte fast alle öffentlichen Toiletten der Stadt. Kann sich jemand vorstellen, wie das ist, Angst vor der Entdeckung haben zu müssen ?

Ich dachte immer, dass ich ja schliesslich erwachsen sei und anziehen könne, was ich wolle. Dem war aber nicht so. Nicht nur wegen der Umwelt, sondern zusätzlich blockierte mich mein Gewissen gleich mit.

War ich auf dem Weg in den Kibbutz, zog ich mich vorher um. Die Hose steckte immer griffbereit im Rucksack. Gewöhnlich machte ich mich freitags mittags zum Zentralen Busbahnhof auf und die Strassen waren dermassen voll Leute, dass ich den letzten einsamen Winkel ausfinding machen mußte, um mich umzuziehen. Die Toilette war passe, denn irgendwie wirkte es absurd, wenn ich im Rock hineinging und in Hose wieder herauskam. Käme da nicht jemand auf die Idee, ich sei pervers oder so ?

In einem haredischen Viertel fand ich die Lösung. Obwohl man mich dort bei einer eventuellen Entdeckung erst richtig für pervers gehalten hätte. Ich wechselte meine Kleidung auf einer kleinen Baustelle. Schnell hinter die Mauer geschlüpft, hinein in den neuen Hauseingang, Rock aus, Hose an und fertig war ich. Wer diese Prozedur ein paar Mal durchläuft, der kann seine Schnelligkeit ins Guiness - Buch der Rekorde eintragen lassen. Ganz sicher habe ich den absoluten Kleidungswechselrekord aufgestellt. Entdeckt wurde ich nie; auch dann nicht als ich aus dem haredischen Viertel hinauseilte, um zum Busbahnhof zu gelangen.

Wenn ich heute die gleiche Strasse durchquere, dann denke ich jedesmal an meine Kleiderwechsel. Natürlich gibt es die Baustelle nicht mehr und es steht dort ein fertiges Wohngebäude. Die Mehrheit der Wochentage trage ich Hose und beschränke mich bei relig. Anlässen und am Shabbat auf den Rock. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht mehr, trage ich doch erstens genug Rock mittendrin und zweitens muss ich mich nicht vor der Umwelt rechtfertigen. Auch ohne ständigen Rock bin ich religiös. Zumindest in meinen Augen.

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